- Wirtschaftsnobelpreis 1985: Franco Modigliani
- Wirtschaftsnobelpreis 1985: Franco ModiglianiDer Amerikaner erhielt den Nobelpreisfür seine bahnbrechende Analyse über das Sparverhalten der Finanzmärkte.Franco Modigliani, * Rom 18. 6. 1918; 1939 Emigration in die USA, 1944-48 Tätigkeit an der School for Social Research, ab 1950 Professor für politische Ökonomie an der University of Illinois, 1962-88 Professor für Wirtschaftswissenschaften und Finanzen am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge; Vertreter des Postkeynesianismus.Würdigung der preisgekrönten LeistungFranco Modigliani wurde für zwei Beiträge zur wirtschaftswissenschaftlichen Forschung ausgezeichnet — zum einen für die Entwicklung der Lebenszyklustheorie des Konsum- und Sparverhaltens privater Haushalte und zum anderen für die Analyse des Einflusses der Finanzierungsentscheidungen eines Unternehmens auf dessen Wert.Modigliani, der aus einer jüdischen Familie stammte, verließ 1939, dem Jahr der Verkündung der italienischen Rassengesetze, Italien als examinierter Jurist. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs traf er in New York ein, wo er sich im sozialwissenschaftlichen Promotionsstudium an der New School for Social Sciences einschrieb. Das Studium erstreckte sich allerdings nur auf die Abend- und Nachtstunden, tagsüber verdiente er sich in einer Buchhandlung seinen Lebensunterhalt. Nach seiner Promotion im Jahr 1944 lehrte Modigliani einige Jahre an der New School, um nach weiteren akademischen Stationen von 1962 bis zu seiner Emeritierung am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge zu wirken.Konsum- und SparverhaltenBereits Anfang der 1950er-Jahre hatte Modigliani zusammen mit Richard Brumberg, einem seiner Studenten an der University of Illinois, die Lebenszyklustheorie des Sparverhaltens entwickelt. Brumberg starb jedoch im Jahr 1955 an einem Hirntumor und Modigliani sah sich zunächst nicht imstande, die gemeinsamen Arbeiten fortzuführen. Abgesehen von einem 1954 erschienenen, kleineren Beitrag wurden wesentliche Ergebnisse des Projekts deshalb nie in einer Fachzeitschrift, sondern erst 1980 in Modiglianis gesammelten Schriften veröffentlicht.Ausgangspunkt der Lebenszyklustheorie ist die Überlegung, dass die Höhe des Einkommens einer Person oder eines Haushalts über das Leben hinweg bestimmten systematischen Veränderungen unterliegt; kurzfristige Schwankungen des Einkommens werden in dieser langfristigen Betrachtung ausgeklammert. So ist das Einkommen mit dem Beginn der ökonomischen Selbstständigkeit zunächst relativ niedrig, wird dann im Berufsleben über einige Jahrzehnte hinweg ansteigen, um mit dem Eintritt in den Ruhestand in Abhängigkeit von der Ausgestaltung des jeweiligen nationalen Alterssicherungssystems wieder abzusinken.Die dem Lebenszyklusmodell zugrunde liegende Hypothese besagt, dass die Haushalte den Konsum im Lebensverlauf möglichst konstant halten, also etwa nach dem Eintritt in den Ruhestand nicht plötzlich auf einen großen Teil ihres Konsums verzichten wollen. Zunächst verschuldet sich der Haushalt somit, um während der Ausbildung einen über dem Einkommen liegenden Konsum zu finanzieren; die Ersparnis ist negativ. Mit steigendem Einkommen wird die Ersparnis positiv, der Haushalt konsumiert weniger als sein Einkommen. Der in jungen Jahren aufgebaute Schuldenberg wird abgetragen, bis schließlich zu Beginn der Rente ein gewisses Vermögen angewachsen ist. Es steht nun für über dem Renteneinkommen liegende Konsumausgaben zur Verfügung.In Modiglianis späteren Arbeiten und in der darauf aufbauenden wirtschaftswissenschaftlichen Forschung sind zahlreiche realitätsnähere Erweiterungen dieses sehr abstrakten Modells entwickelt worden. So sind die Möglichkeiten jüngerer Haushalte, sich in Erwartung künftiger höherer Einkommen zu verschulden, oft eingeschränkt. Dann reduziert sich die Konsumglättung auf die reine Altersvorsorge. An diesem Punkt wird auch deutlich, dass ein abstraktes ökonomisches Modell wie Modiglianis Lebenszyklusmodell in einer konkreten Anwendung auf länderspezifische Gegebenheiten Rücksicht nehmen muss; beispielsweise ist es in den USA wesentlich leichter, sich zur Finanzierung einer Hochschulausbildung zu verschulden als in Deutschland.Weitere Analysen im Rahmen des Lebenszyklusmodells untersuchen die Auswirkungen kurzfristiger Einkommensschwankungen und der Unsicherheit über die künftige Einkommenshöhe. Damit tritt zum Konsumglättungs- beziehungsweise Altersvorsorgemotiv mit dem Vorsichtsmotiv ein zweiter wichtiger Bestimmungsgrund des Sparens hinzu. Schließlich ist in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung sowie in der auf ihr gründenden Politikberatung die Frage bedeutend, wie private Haushalte auf Änderungen der institutionellen Rahmenbedingungen reagieren. Man denke hier nur an die Ausgestaltung einer Rentenreform, mit der in Zeiten des demographischen Wandels eine ausreichende Altersvorsorge gesichert werden soll. So baut eine kapitalgedeckte Rente direkt auf dem von Modigliani entwickelten Lebenszyklusmodell auf, das demnach auch heute noch eine große Aktualität besitzt.Ein neues TheoremDie zweite Arbeit Modiglianis, die in der Begründung der Verleihung des Nobelpreises erwähnt wurde, entstand in Zusammenarbeit mit Merton Miller (Nobelpreis 1990). Nach dem 1958 veröffentlichten Modigliani-Miller-Theorem sind die Finanzierungskosten und damit der Wert eines Unternehmens unabhängig von dessen Finanzierungsstrukur, der Aufteilung der Finanzierungsseite in Eigen- und Fremdkapital. Ebensowenig wird der Wert eines Unternehmens von dessen Dividendenpolitik beeinflusst; ob ein Unternehmen seine Gewinne anhäuft oder an die Aktionäre ausschüttet, spielt bei ansonsten unveränderten Entscheidungen keine Rolle für dessen Bewertung. Inzwischen ist die Forschung zu teilweise differenzierten Ergebnissen gekommen, die mit einer realitätsnäheren Abschwächung der Annahme der perfekten Information aller Marktteilnehmer zusammenhängen. Die grundsätzliche Bedeutung des Theorems wird dadurch jedoch nicht geschmälert.Aus methodischer Sicht war die Verwendung eines Arbitragearguments für die gesamte weitere Entwicklung der Kapitalmarkttheorie entscheidend. Das Arbitrageprinzip klingt zunächst fast trivial: Wirtschaftlich gleichwertige Güter können bei perfekter Information der Marktteilnehmer über deren Eigenschaften nicht zu verschiedenen Preisen gehandelt werden. Mögliche Preisdifferenzen würden — nach dem Motto »kaufe billig, verkaufe teurer« — sofort von Arbitragehändlern ausgenutzt und damit verschwinden. Diese Einsicht auf die Beziehung eines Unternehmens zu seinen Eigen- und Fremdkapitalgebern angewendet und die Ausweitung derartiger Arbitrageüberlegungen auf andere Bereiche der Kapitalmarktforschung vorbereitet zu haben, ist eine weitere Errungenschaft Franco Modiglianis.J. Winter
Universal-Lexikon. 2012.